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Johnny - 2 Stunden nach der Ankunft

Entgegen jeglicher Vernunft musste ich bei ihren frechen Antworten lächeln. Ich fühlte mich so gut und lebendig wie schon lange nicht mehr. Vielleicht hatte ich ja einen Hang zum Sadomasochistischen, weil ich Gefallen an dem Schlagabtausch fand. Er war um einiges erfrischender und einfach anders als das Geschnurre, das ich für gewöhnlich von Bräuten bekam. Sarah fiel mit ihrer Art in jeder Hinsicht aus der endlosen Reihe dieser ganzen Frauen – und zwar im positiven Sinne.
Nachdem ich mich gestreckt hatte und meine Arme wieder sinken ließ, blickte ich zu Sarah hinunter, die ein Grinsen von einem Ohr zum anderen aufgelegt hatte. Es war das erste Mal, dass sie mir ein so strahlendes Lächeln schenkte. Erneut zeigte es ihre hübschen Grübchen. Wunderschön.

In diesem Augenblick wusste ich, dass ich zukünftig nur noch nach diesen Grübchen Ausschau halten würde. Okay – das musste aufhören. Sofort! Verdammt, sie war Nats kleine Schwester, nicht mehr und nicht weniger. Reiß dich zusammen, du Idiot!
Ich schüttelte mich unmerklich, um wieder zu klarem Verstand zu kommen, und konzentrierte mich auf das Beförderungsband der Koffer. Als würde mein Leben davon abhängen, bald meine Klamotten zu bekommen.

***

Fünfzehn Minuten voller Grinsen und Schweigen später hatten wir unsere Reisetaschen und warteten nur noch auf Sarahs Gitarrenkoffer. Als sie ihn erblickte, sprang sie sofort nach vorne und schnappte ihn vom laufenden Band. Zuerst freudestrahlend über das Wiedersehen ihres Instruments – was nur ein wahrer Musiker nachvollziehen konnte –, doch dann entglitten ihre Züge und Sarahs Augen weiteten sich erschrocken. Ich musste den ramponierten Gitarrenkoffer gar nicht erst sehen, um zu wissen, was passiert war. Er war eingedrückt und vermutlich sah es in seinem Inneren nicht viel besser aus. Meine Befürchtung bestätigte sich, als Sarah neben mir den Koffer öffnete und ihre Gitarre zum Vorschein kam, die mit einem Sprung in der Mitte gezeichnet und an der Seite eingedrückt war. Mit einer kaputten Saite hätte man die Gitarre retten können, aber in diesem Zustand war sie wohl endgültig hinüber.

»Oh nein, sie ist kaputt. Ich glaube das nicht. Nein, nein, nein«, flüsterte Sarah unablässig, doch sie hatte Recht damit. Sie sah aus, als wäre sie bereits den Tränen nahe. Dabei verurteilte ich sie nicht, mir wäre es bei meinem Baby nicht anders gegangen. Ich musste mir etwas einfallen lassen, vielleicht ... nein, da gab es kein Vielleicht. Die Gitarre war hinüber, aber ich würde eine andere Lösung finden. Natürlich nur, weil sie Nats kleine Schwester war. Das schuldete ich ihm.

Behutsam hockte ich mich neben sie und zog ihre Hand von der Gitarre. Dabei achtete ich darauf, nur ihre dünne Weste zu berühren, und schloss den Koffer. Bevor sie mich erneut anfahren konnte, wie es ihre Lieblingsbeschäftigung zu sein schien, stoppte ich sie mit den Worten: »Beruhig dich, wir werden eine Lösung finden. Ich habe einen Freund, der kennt sich mit Gitarren aus und kann so gut wie alles reparieren. In Ordnung?«

Ganz überzeugt hatte ich sie wohl nicht, denn zuerst blies sie sich eine widerspenstige Locke aus den Augen, doch dann lächelte sie schwach und nickte. »Okay, danke. Tut mir leid, dass ich hier eine Szene mache, aber das ist meine erste Gitarre, die habe ich schon seit Jahren«, seufzte sie gedehnt.

Szene, welche Szene? Wenn das für sie eine Szene war, wollte ich nicht wissen, wie verschlossen sie sein würde, wenn sie sich ihrer Meinung nach zusammenriss und zurückhielt. Bisher kannte ich fast nur theatralische, überschwängliche Frauen, die sich nahmen, was sie wollten – meist mich – und bei jeder Gelegenheit überdramatisch reagierten. Egal, ob etwas Positives oder Negatives passiert war, solange sie nur im Mittelpunkt stehen konnten. Und genau wie ihre freche Klappe stach Sarah auch mit diesem Verhalten zwischen den unzähligen verschwommenen Gesichtern von Frauen hervor, die ich kannte.

Road to Hallelujah (Herzenswege 1) - XXL Leseprobe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt